29. und abschließender Tag, Montag, 19.6.2017: Tartegnin – Genf / 46 km, 280 hm

Am Morgen bekam ich ein gutes Frühstück am Familientisch. Wie immer werde ich gefragt, woher ich komme mit dem beladenen Fahrrad. Aus Norddeutschland?? Und das ist wirklich kein E-Bike?? Die Parkinson-Story lasse ich schon immer weg. Weil wenn ich sage, ich bin nach den 4 Wochen nicht ausgelaugt, es geht mir besser denn je, fällt vielen die Kinnlade runter. Offensichtlich haben viele Menschen die einfache Tatsache, dass mechanische Systeme bei Bewegung verschleißen, im Gegnsatz dazu regenerieren sich biologische Systeme bei Bewegung. Egal, jedenfalls wünschen mir alle – und das klingt ehrlich – eine gute Weiterfahrt.

Heute geht es durch die Weinberge bergab, auch mal gut. Doch bald ändert sich das Bild. Ich komme in eine Gegend, in der vornehmlich Ackerbau betrieben wird. Dass die Grenze zu Frankreich hier mitunter nur ein paar hundert Meter entfernt ist, merke ich daran, dass stellenweise mehr Autos mit französischen Kennzeichen unterwegs sind als Schweizer. Ich nehme an, darunter viele Arbeitsmigranten. Die Route führt zwar nicht auf dem kürzesten weg nach Genf, aber dafür istes noch einmal richtig schön. Mir geht schon alles mögliche durch den Kopf. Einerseits muss ich mir aus den vielen Telefonadressen noch eine bezahlbare Unterkunft in Genf besorgen und meine Zugfahrt am Sonntag nachhaus ist noch nicht geregelt. Ich hatte zunächst gedacht, gibst du die alte Fahrkarte zurück und besorgst dir eine neue, kann ja nicht so schwer sein. Aber die Verbindungen wurden nicht nur stündlich teurer, für die Strecke Stuttgart-Wolfsburg kam immer freundlicherweise ganz zum Abschluss der Buchung – und das sind jedes Mal etliche Schritte: leider sind gerade alle Fahradplätze vergeben…. na toll. Und dann kamen Verbindungen hinzu, da war dann die 1. Klasse preiswerter, aber auch ohne Platz für das Fahrrad im Zug.  Na ja, wenn die alten IC-Wagen nur die paar Plätze haben, an denen das Fahrrad auch noch umständlichst an die Decke gehängt werden solll… Da kam mir die Idee: wieso das alte Ticket stornieren? Das enthält zum Supersparpreis die Verbindung Basel-Wolfsburg, und die geht über Mannheim, Frankfurt… Über Würzburg als Umsteigebahnhof würde ich eh nicht fahren, die haben weder Rolltreppe noch Fahrstuhl noch nutzbare alte Postrampe – eben nichts. Erstaunlich, dass solche musealen Stationen immer noch als Umsteigebahnhof mit Fahrrad im Fahrplan auftauchen. Nach etlichen Versuchen erreiche ich jemanden beim Auslandsservice der DB, womich die Fahrkarte erworben hatte, weil Auslandsverbindungen mit Fahrrad kann man nicht online buchen. Weil du dann extra eine Zollerklärung unterschreiben musst. Klingt erts bürokratisch, scheint dann aber in einer Zeit, in der für Aktiengewinne einBus in die Luft gesprengt wird, doch sinnvoll. Ich will also fragen, ob sie meinen ab Basel vorhandenen Fahrradplatz ab Frankfurt sicherstellen können. Ich befüchtete nämlich, dass dieser, ebenso wie eine Sitzplatzreservierung, eine Viertelstunde nach Abfahrt entfallen kann. Nach langer Wartezeit erklärt mir der freundliche Auslandsbedienstete “ ihr Fahrradplatz bleibt die ganze Strecke reserviert, auch wenn Sie erst in Frankfurt zusteigen“. Nun ja, den möglichen Verlust des Sitzplatzes kann ich bei 4 Fahradtaschen verschmerzen, da baue ich mir eben einen Sitz. Und flugs für einen guten Preis das Ticket bis Frankfurt gebucht. Frankfurt deshalb eher als z.B. Mannheim, weil nach wie vor Kopfbahnhöfe für Fahrradreisende immer noch das beste sind. Und auch so, Bahnsteige und Verkaufsstände auf einer Ebene, irgendwie hat das mehr Eisenbahn-Reise-Atmosphäre als diese Ansammlung von Kellergeschäften. Ok, nun noch schnell das Zimmer für heute Abend besorgt. Hä, so einfach ist das nicht. Ich habe zwar eine ganze Liste mit Jugendherberge, Hostels, chambres d’hôtes (Gästezimmer in Pensionen oder privat), aber Genf ist nicht nur teuer, scheint auch beliebt zu sein. Also stehe ich am Ortseingang von Genf in einem Park im Schatten, habe zwar endlich die Heimreise unter Dach und Fach, höre aber jedes Mal „pardon monsieur, nous sommes complet“. Nun ja, ich finde es komplett besch… stehe schon ewig hier. Dann kommt meine persönliche auditive Bestleistung: eine freundliche, aber zart und leise klingende Frauenstimme sagt, sie hätten nocht etwas frei und erklärt mir Preis und Angebot. Ausgerechnet jetzt nimmt der Verkehr vor dem Park zu und ich verstehe immer „centseptante Francs per nuit“, klingt in meinen Ohren wie 170 Franken pro Nacht und ich merke nicht einmal, adss es diese Zahl centseptante im französichen gar nicht gibt, müsste heißen „centsoixantedis“. Aber ich merke es nicht, macht wohlmauch die Hitze. Muss ja eine Entschuldigung haben. Zum Schluss einigen wir uns: ich schicke ihr eine kurze Mail und sie antwortet mit Preis und Angebot. Da waren es dann 107 Franken mit Frühstück, Dusche/WC auf dem Zimmer und kostenlose ÖPNV-Nutzung. Also machte ich mich auf den Weg, verstand unterwegs die Anweisungen vom Navi nicht, musste natürlich einmal steil über den „Rathausberg“, der Radweg durch einen Park war verschlossen … doch endlich kam ich ans Ziel. Und bereute nichts. Alles war wieder gut. Mitten in dieser relativ kleinen internationalen Metropole stand mitten in einem großen Park eine alte Villa das “ Le Cénacle“. Kurzum, ein nüchtern eingerichtetes, aber ruhiges und sympathisches Haus. Die Zimmer sind einfach und knapp eingerichtet, ähnlich wie die Einzel-  und Doppelzimmer in den modernen Jugendherbergen. Ich sehe eine Tür zu einer kleinen Kapelle im Haus mit einem Schild zum Leben mit Gott. Ich recherchiere, was Cénacle wohl bedeuten mag: kommt aus dem lateinischen und bedeutete so etwas wie einfacher Speisesaal oder auch einfache vermietete Räume. Ok, das Motto passt zum Haus. Bei der Gelegenheit will ich auch wissen, woher im französischen für „Genfer See“ der Begriff „Lac Léman“ kommt. Natürlich auch aus dem lateinischen: der Teil leman kommt aus dem keltischen und bedeutet großes Wasser, See und schon die Römer erfanden den Doppelnamen mit dem lateinischen Wort für See und em keltischen dazu. Also heißt dieses Binnengewässer auf deutsch übersetzt so viel wie „See-See“. Auch gut. Aber für den Rest des Tages bin ich ziemlich geschafft, suche mir noch einen Bankautomaten und gleich dabei ein Supermarkt. Zum Essen gehen habe ich nicht nur wegen des horrenden Preises keine Lust. Ich kaufe noch schnell etwas ein, das ich auf meinem Zimmer in Ruhe genießen kann und dann fallen mir bestimmt bald die Augen zu. 

Außerdem geht mir alles mögliche durch den Kopf. Jetzt ist die Radreise vorbei. Jetzt kommt einerseits wieder das normale Leben ( muss ja auch mal wieder auf den Teppich kommen). Aber das soll eigentlich auch nicht das letzte Projekt gewesen sein. Doch dazu verrate ich vielleicht später mehr.

Der Übergang von den Weinbergen zur von Feldwirtschaft geprägten Landschaft:


Irgendwo ein kleiner Flugplatz für Sportflieger, am Rand steht eine Antonov AN 2: ein russischer Doppeldecker, der wegen seiner großen Flügelfläche extrem langsam fliegen jnd auf kürzesten Pisten starten und landen kann:


Unterwegs: auf einer Baustelle an einer Bundestraße wird ein Radweg abgetrennt, niemals sah ich hier eine Schild an einer Baustelle „Radfahrer absteigen“, übrigens ist auch in den größeren Städten das Radfahren fast überall auf Angebotsstreifen möglich, fast immer gibt es Aufstellflächen für Fahrräder an Ampelkreuzungen zum direkten Linksabbiegen – nun ja, wir können bei usn halt noch lernen:


Der Beweis: Axel hat nach 4 Wochen und einem Tag Genf erreicht:


Genf und mein Hotel hier im Park:


Last but not least: eine Anzeige auf dem Stadtplan von Genf

„Ich würde ja gern mehr Fahrrad fahren, aber – aber durchgestrichen und darunter: wenn du besser leben willst, musst du auch mehr Fahrrad fahren“ – es ist eben das Nahverkehrsmittel der Zukunft


Und dennächst verrate ich vielleicht mehr über meine Gedanken zu „après vélo“ – wenn es auch après ski gibt…

28. Tag, Sonntag 18.6.: Troistorrents – Tartegnin / 93 km, 560 hm

Nach einem für 5 Franken netten kleinen Frühstück ging es los Richtung See:  einmal halb rum und zack – schon bist du in Genf. Mit „zack“ startete auch die Tagesetappe: eine hypergeile Abfahrt – ich hatte in Biel Tour de Suisse im Tv gesehen, so annähernd ging das hier auch gut runter. Und diese super Aussichten. Nur Vollbremsung und Foto geht nicht: wäre Spaßbremse und bis das volle Rad steht ist die Aussicht vorbei. Unten ging es durch das am Sonntagmorgen noch leere Monthey zügig zum Rhôneradweg. Der führte zwar wieder auf dem asphaltierten Rhônedamm weiter, war aber landschaftlich schön und langsam wurde auch die Talöffnung zum See hin sichtbar. Ein wenig war ich auch wieder bei der Tour de Suisse:  heute Einzelzeitfahren. Und Axel auf guter Strecke ohne Gegenwind unterwegs – nach 25 km hatte ich einschließlich der Abfahrt immer noch einen Schnitt von etwas über 19 km/h. So macht das Spaß!

Und dann kam ich in die Landschaft des Deltas der alten Rhône, ein wunderschönes Naturschutzgebiet, durch das sich der schmale und teilweise Wander- und Radweg hindurchschlängelt. Hier entschleunigst du ganz von selbst. Und gleich bei einem kleinen Sportboothafen eine kleine Bank, Zeit für einen Schluck aus der Plastikpulle und ein paar Salzstangen.

Bei Villeneuve kommt der Weg an den See. Was plötzlich für eine Weite. Und ein Blick zurück: die Berge zeigen mir, da bist du hergekommen. Jetzt bist du raus aus den Bergen, irgendwie ging es im Nachhinein schnell. Erst aufregende Gedanken, wie wird das mit den Pässen. Dann kämpfst du dich da rüber, oben angekommen tut es schon nicht mehr weh und jetzt ist schon alles vorbei. Durch Villeneuve konnte ich durch die nette Altstadt fahren.  Nach kurzer Zeit kam ich nach Montreux: viel Verkehr, Haufen Leute von Schickeria mit Porsche oder Maserati bis kleiner Angeber mit saulautem Miniroller. Und diese alten Protzbauten mochte ich schon damals, als ich in Gegenrichtung in die Berge fuhr, nicht. Die Straße war voll, da versucht eine jung-dynamische Lady im soundigen Cooper S sich von der Seite vorlaut in den Verkehr zu schieben. Ich kann es nicht lassen, grinsend mit halbhoch stehender Bärentatzen-Pedale (die mit den Stahlzacken) eine Sekunde länger als nötig auf die Weiterfahrt im Stop-and-go vor ihrem Auto zu stehen.  Deutsches Kennzeichen: vielleicht Vorurteil, aber die Schweizer wirken sehr viel rücksichtsvoller, Autofahrer zu Radfahrer, Radfahrer zu Fußgänger ohne Hupen und Bimmeln, dafür ab und zu kleine Haken schlagen – mit 4 Taschen am Rad ist das auch eine sportliche Aufgabe. Aber gleich rollt es wieder gut. Dann kommt noch das Bildungs- und Konferenzzentrum des Nestlé-Konzerns. Dagegen wirkt das MMi von Volkswagen in Braunschweig wie eine Selbstversorgerhütte. Für ein Foto habe ich keine Lust, wenn es nur protzig ohne Eleganz wirkt. 

Jetzt geht es mal am Strand entlang  – Sonntagmittag bei bestem Badewetter zwischen Montreux und Lausanne, echt was los – und mal bergauf, bergab die Uferstraße entlang. Und Weinberge, die zu riesigen Weingütern zu gehören scheinen. Und immer wieder der Blick auf den See. Aber mir ist die Gegend zu voll hier. Als ich auf Lausanne zukomme, sehe ich auf dem Tacho  fast 60 km gefahren, ein Blick zurück macht erst hier deutlich, wie weit ich heute morgen schon gradelt bin. In den Bergen siehst dubdas nicht. Es geht zu einem hübschen Park hinunter. Also: Rad im Schatten abgestellt, die socken und Schuhe paar Meter weiter zum Auslüften, sich recken und strecken und dann entspannt die Vespertüte rausholen. Hier lässt es sich ein wenig verweilen.

Durch Lausanne muss ich nicht hindurch, es geht nah am See entlang und trotz der Menschenmassen geht das recht gut. Dazu gibt es auch einen bescheidenen Yachthafen – hier hat sich eben das Geld versammelt. Kurz nach Lausanne verfahre ich mich zu meinem Vorteil. Ich komme auf einen Pfad für Fußgänger direkt am Ufer. Hier wirkt es gemütlich, kein so großes Gedränge. Mamas gehen schon mit Kühltasche und Nachwuchs zum Strand, Papa versucht noch mit 12-Volt-Kompressor am Auto hockend  das Mini-Schlauchboot aufzublasen, zwei ältere Italienerinnen stehen laut parlierend und wild gestikulierend mitten auf der kleinen Straße und Axel muss gleich aufpassen, beim Ausweichen von Fußgängern nicht in den See zu plumpsen  – mit dem vollen Rad, das wäre der Lacher für die Badegäste. Hier mache ich zwar keine Kilometer, aber es gefällt mir. Wenn, würde ich auch hier baden gehen, mit Minigrill und Getränken in der Kühltasche. Nur, ich bin kein Badetyp –  schade. 

Bald kommen kleinere Orte mit schönen alten Ortskernen und Weinberge an den Hängen. Langsam werde ich an Pfalz oder Elsass erinnert. Nur die offenen, bewirtschafteten Winzerhöfe wie Besenwirtschaften sehe ich hier nicht. Auch schade, denn bekennender Beseneinkehrer bin schon – wenn denn einer da ist. Die strecke zieht sich, die Sonne knallt hier unermüdlich und es geht immer so gar lustig steil hoch und mal wieder runter. In Morges fahre ich durch die FuZo, plötzlich vor mir:  Boulangerie – Patisserie et Glace à la maison. Na also, eine Konditorei mit hausgemachtem Eis. Ich finde sofort einen freien Tisch im Schatten und bestelle drin Eis und Milchkaffee bei einer selten elegant-hübschen Bedienung. Ich freu mich schon am Tisch sitzend, dass sie mir mit bezauberndem Lächeln das Eis serviert. Doch es kommt eine andere Kollegin, auch sehr nett, aber nicht so hübsch doch das Eis schmeckt trotzdem wirklich gut. Gestärkt gehe ich den Rest der Tagesetappe an. Die Gegend finde ich hier wiklich bezaubernd: diesseits die Weinberge und -dörfer, gegenüber auf der französischen Seite Berge und Badeorte. Zum Sehen bin ich auf dieser  Seeseite richtig.

Dann ein Blick auf die Karte und in die Landschaft: jawoll, ich habe es wieder geschafft, eine Unterkunft zu buchen, zu der ich noch einmal bergauf fahren darf. Axel kann’s nicht lassen. Meine Navi-App steigert die finale Freude und zeigt mir einen Zickzack-Weg durch die Weinberge: rechts fast senkrecht hoch, links ebenso wiede runter. Dann mit tatsächlich einem kleinen Schiebstück sagt die elektronische Stimme „Sie haben ihr Ziel erreicht“. Wo?? Ich suche so etwas wie ein Minihotel. Gehe auf und ab. Dann sehe ich am Weingut neben mir das Schild bed and breakfast. Doch, hier bin ich richtig. Und lande in einem nett gemachten zweistöckigen Miniappartment bei einem Winzer. Die Fraubdes Hauses kommt aus der Deutschschweiz. Jetzt, müde und kaputt ist es angenehmer in der Muttersprache. Ich freu mich auf ein Abendessen im Gasthof um die Ecke mitten in den Weinbergen. Doch der hat zu, „sonntags hat hier fast alles zu“. Ok, dann ist der Sonntag hier der Montag in Pfalz, Elsass oder im Harz. Nach dem Duschen stelle ich fest, ich habe noch Vespervorräte und im Kühlschrank sind ein Rosé und ein Weißwein des Hauses, jeweils eine kleine Flasche. Ich entscheide mich für den Weißwein, einen Chasselas grand-cru. Der schmeckt auch wirklich gut. Und mir fallen bald die Augen zu. Morgen nur noch eine kleine Etappe bis Genf.

Das Rhônetal wird breiter und letztlich kommt ich durch das von der  alten Rhône angeschwemmte Delta:


Hier scheiden sich die Geister: durch Evian und an der französischen. Seite entlangfahren


Ein Blick zurück:  Da komme ich her


Die Altstadt von Villeneuve:oooso kann man an auch 500 Jahre Reformation interpretieren mit Luther als Playmobilfigur.

Kurz vor Lausanne: Bärbel, axhte auf die Partnerstadt von Pully


Einer dieser großenWienbaugebietes vor Lausanne

Pause im Park:


Lausanne mit „kleinem“ Hafenbecken:


… mit Pause im Park

Jetzt kommt der schöne Strand und danach wird auch die Landschaft schön:


Nach Morges in einem Ort: Place de l’Horraire ( Uhrzeit):


Und wenn man schon beim Winzer wohnt – gibt es auch einen edlen Tropfen, in diesem Fall  Chasselas Grand Cru

27. Tag, Sonnabend, 17.6.: Sierre – Monthey / 71 km, 200 hm

Als ich am Sonnabend morgen losfuhr, war ich mit meinen Gedanken wenig bei meiner Tour. Mir war klar geworden, dass ich auch mit sight-seeing radeln spätestens am Montag in Genf sein würde. Und mein Ticket war fix für Sonntag. Was tun?? Zu knapp einer Woxhe Zürich und Umgebung verspürte ich keinerlei Lust. Erstens wüsste ich nicht, was ich eine Woche hier soll: die Stadt ist schnell erkundet, der Bade-und-Strand-öl-+Liegemensch bin ich nicht und – das entscheidenede: das würde ein halbes Vermögen kosten und ich möchte ja auch mit meiner Frau Bärbel noch schöne Dinge unternehmen und es soll ja auch nicht die letzte Radreise gewesen sein.

Also anhalten, recherchieren (eher heim fahren schied aus: min. 4-5x umsteigen, mit Rad und 4 Taschen…) telefonieren… dann stand der Plan: Montag in Genf ankommen, einen Tag – Dienstag – bleiben. Mittwoch zu meiner Schwester nach Filderstadt-Bonlanden und Sonntag wie geplant nachhaus fahren. Ich freue mich schon, weil ich meine „schwäbische Schwester“ schon lange nichr mehr gesehen habe und weil wir zum Abschluss etwas unternehmen können wie z.b. auf der Alb wandern. Und ich bekam wichtige Tipps für einen halbwegs bezahlbaren Kurztripp nach Genf.

So, nun kann wieder geradelt werden. Bis Sion war die Strecke entlang der Rhône recht abwechslungsreich. Auf „meiner“ linken Flussseite kleine Seen und Biotope, rechts – hinter Autobahn und Eisenbahnstrecke – mal weiter weg, mal näher einige Weinberge. Es gibt auch eine Walliser Weinroute durch die Weindörfer auf der rechten Rhôneseite. Die ist bestimmt abwechslungsreich, aber dann ohne großes Gepäck und bummeln.

Da die Route ohnehin durch Sion führt, kaufte ich schnell im Bahnhof ein Ticket für Mittwoch nach Stuttgart und Filderstadt. Weiter ging es auf dem Rhônedamm. Langsam wurde es langweilig. Zum einen landschaftlich nicht mehr so reizvoll und viele Kieswerke o.ä.. Aber besonders nervig war der mittlerweile böenweise stürmische Gegenwind, und das bei den hohen Temperaturen und fast wie an einem Kanal lang. Die Etappe bis Monthey kam mir ziemlich lang vor. Und es wurde teurer:  ich konnte oberhalb von Monthey, in Troistorrents noch für 50 Franken ein Zimmer im Dorfgasthaus bekommen. Kurz vor Monthey konnte ich noch zum Abendessen einkaufen. Ich wollte auf keinen Fall zum Schluss der Etappe mit Gepäck eine steile Bergstraße rauf nach Troistorrents. Ich nahm dann klugerweise auch die moderne kleine Bahn. Die fuhr so steil und zügig bergauf, dass ich mein vollgepacktes Rad kaum halten konnte. Aber tolle Aussichten aus der Bahn! Das Zimmer im Dorfgasthaus „Helvetia“ war dann auch wieder zu dem Kapitel „Erlebnisurlaub“: in einem 300 Jahre alten Haus zwei Stockwerke höher. Der Weg führte hinter das Haus, ein Stockwerk höher war gleichzeitig Eingang zum Nachbarhaus und – seine Garageneinfahrt! Der Weg dorthin war extrem schmal, um die Hausecke rum und so steil, dass ich nur mit Mühe mein Rad dorthin schieben konnte. Ob die Garage überhaupt für ein ausgewachsenes Auto war… Aber vom Hof aus ging es wieder ins Haus und zu meinem Erlebnis-Salon: ein relativ großer Raum mit an 2 Seiten noch erhaltenen Wänden aus Reisezeiten Goethes und Heines und freundlicherweise hatten jene eidgenössischen Zeitgenossen zweibWandschränke hinterlassen. Sahen interessant aus, waren aber kaum zu öffnen und schließen. Sonst fand sich im Raum ein Bett und so etwas ähnliches wie ein ehemaliger Nachtschrank. Ansonsten bot sich – ohne Aufpreis – jede Menge Ablagefläche für Radlers Klamotten auf dem Fußboden. Im Gegensatz dazu – baugeschichtlich ein Stilbruch aber hygienisch angenehmer – war das Bad neu renoviert. Wieder was erlebt. Und 50 Franken sind halt so nah am See wie ländlichen deutschen Regionen 50 Cent – sehr grob gerechnet.

Kleine Info kurz vor dem Ziel

Ich möchte euch kurz vor dem Ziel wenigstens mitteilen, wo ich bin:

Gestern von Sierre nach Monteuil, kurz vor Ende des Rhônetals; gestern abend mit einer „Bergstraßenbahn“ hinauf nach Troistorrens ( wegen bezahlbarer Unterkunft).

Heute früh in rasanter Abfahrt zurück nach Montreuil und fast rum um die Schweizer Seite des Genfer Sees (hier auf französich Lac Leman) bis Tartegnin, ca. 33 km vor Genf.

Wie ihr auf dem Bild nachvollziehen könnt, bin ich hier auf einem Weingut in der schönsten Ecke des Sees inmitten von Weinbergen gelandet: und der Chasselas Grand Cru des Hauses ist schon Klasse. Den genieße ich jetzt und morgen nach einer halben Etappe bekommt ihr noch einmal „richtige“ Berichte. Ich kanns nicht so recht glauben, kam mir jetzt alles sehr kurz vor und morgen mittag soll schon Genf sein… dem ist wohl so.

Bis morgen in der gewohnten Ausführlichkeit – alles von Sierre bis Genf

26. Tag, Freitag, 16.6.: Biel – Sierre/Siders / 72 km, 300 hm

Meine heutieg Tour war nicht besonders lang, aber durch die Wärme hier unten im Tal und den warmen, kräftigen Gegenwind war es am Ende doch ermüdend.

Nach meinen 2 gemütlichen Tagen in Biel war es schon ein kleiner Abschied von meinen sehr netten Gastgebern und ein entsprechend gemütliches Losradeln. Aber bald zeigte sich nicht nur auf dem Wasser, dass die Rhône hier oben ein wilder Gebirgsfluss ist. Auch die Ufer fielen teils steil ab und der Weg ging auch auf und ab.

Das ging gut bis Ernen, ab hier wird die Rhôneschlucht schmaler und der Fluss hat enormes Gefälle. Der offizielle Radweg führt auf schlechter Wegstrecke extrem steil nach oben und vor Brig sicher ebenso steil auf Schotter wieder bergab. Klugerweise stand noch ein Schild “ Weg steigt auf felsigem Weg steil an, Empfehlung Velo schieben (!!)“. Ich suchte aber einen Radfernweg und keine Crossrennstrecke mit Gepäck. Also fuhr ich die Alternative bis kurz vor Brig auf der Bundesstraße. Na bitte, zumindest in diese Richtung eine super Entscheidung: eine tolle, kaum enden wollende Abfahrt. Und auch nicht gefährlich, da die Autos auf der schmalen Straße ohnehin nicht überholen. Also war ich ganz überrascht, schon in Bozen zu sein.

In Brig wurden Erinnerungen wach, weil ich auf meiner Alpentour Anfang der 90er das Rhônetal aufwärts kam und von Brig aus der Simplonpass mein 1. Pass mit dem Fahrraf war. In Brig stellte ich fest, viel Volk, hohe Preise aber kein besonderes Flair. Hinter Brig führte die Strecke mal durch die Felder, mal von Bäumen gesäumt am Flussufer entlang. Aber auch viel durch Industrie- und Gewerbegebiete oder an der hier viel stärker  befahrenen Bundestraße mit Radfahrstreifen entlang. Und von vorn immer ein wirklich kräftiger warmer Wind bei schwül-warmem Wetter. Überhaupt fühlte sich die Luft hier unten ganz anders an als heute morgen, noch etwa 7-800 m höher.

Unterwegs fiel mir auf, dass ein Dorf anders wirkte mit noch viel erhaltener alter Bausubstanz und in diees Umfeld perfekt eingegliederte Neu- oder Umbauten. Bei näherem Hinsehen fand ich ein Schild: Raron, das Rilkedorf mit seiner Grabstätte. Der bei Montreux verstorbenen Dichter wurde dann wohl in Raron beigesetzt.

In Sierre angekommen, wunderte ich mich: ein preiswertes kleines Zimmer in einem Haus gar nicht weit vom kleinen Stadtzentrum und doch ganz ruhig von Weinbergen umgeben. Irgendwie ist es auch ein schönes Gefühl, weniger nur ans Vorwärtskommen zu denken und entspannt herumschlendern zu können.

Die Bilderstory dazu. Von diesem Haus aus, in dem ich ganz oben meine kleine FeWo hatte, ging es heute morgen los (in umgekehrter Reihenfolge fotografiert, macht das System):


Brig:  nichts besonders auffälliges, der Fluss danach wie ein permanenter Strömungskanal:


Das selbsternannte „Rilkedorf Raron“ – und langsam mehren sich die Weinberge bis hoch hinauf an den Hängen des Rhônetals:


Der Rhôneradweg ist abwechslungsreich, malnfelsig und steil, mal ein paar Kilometer so:

25. Tag, Donnerstag 15.6., Fronleichnam / Biel

Gestern abend gab es eine kleine Fronleichnamsprozession im Dorf, vor der Messe versammmelten sich die Frauen in der Sonntagstracht: nicht so farbenfroh wie die Trachten anderer Regionen, aber sehr elegant:


Heute wurde eine kleine Hütte oberhalb von Biel zur Saison 2017 eröffnet. Das war eine gute Gelegenheit, die Walibachhütte als Zwischenziel für eine kleine Bergwanderung zu nehmen. Mir hat die Wanderung Spaß gemacht mit den vielen schönen Asblicken und bei dem wieder etwas schwülen Wetter immer wieder schattige Abschnitte durch die Bergwälder:


Falls jemand Interesse hat, hier ein Artikel, der diese Gegend treffend beschreibt und weshalb es mir hier so gefällt:


Morgen früh geht es dann wieder mit dem Velo weiter Richtung Ziel, immer dem Rhôneradweg folgend.

23. Tag, Dienstag, 13.6.: Realp -Furkapass – Biel, Gde. Goms / 45 km, 960 hm

Als ich am Sonntag in Realp aus dem Zug stieg,  sah ich die steilen Serpentinen des Furkapasses direkt vor mir. Die erste Reaktion war „Mist, mein Plan mit der Überquerung des Furkapasses fällt ins Wasser“… Ich recherchierte noch einmal genauer und musste einsehen, der ist nicht nur „etwas schwieriger als der Oberalppass“, da sind lange Abschnitte mit 2- stelligen Steigungsprozenten. Aber ich sah 2 Alternativen: im worst-case mit dem Zug nach Oberwald auf der anderen Passseite oder es ohne Gepäck versuchen. Auf keinen Fall wollte ich mit Brechstange und Gepäck einen Anlauf nehmen.

Warum reite ich auf diesem Punkt so herum? Natürlich ist er für mich wichtig aus Eigennutz für meine Gesundheit und Verantwortung auch meiner Familie gegenüber. Der zweite Aspekt liegt darin, deutlich zu machen was es für mich persönlich heißt „meine Krankheit annehmen“: einerseits möglichst alles tun, um den Verlauf positiv zu beeinflussen (da ist das Motto „Keep Moving“ über Taiji hinaus mein Leitsatz) aber eben auch nicht so tun, als könne ich die Krankheit austricksen oder ignorieren. Und genau über diese Schnittmenge von meiner Leistungsfähigkeit und meinem Durchhaltevermögen mit den möglichen parkinsonbedingten Raktionen im Grenzfall habe ich eine ganze Zeit nachgedacht. Am Ende kam ich zu dem Schluss: ohne großes Gepäck kann ich es versuchen ohne unkalkulierbares Risiko (z.B. Gleichgewichtsstörungen können an der Hangseite sehr ungesund sein).

Genug geschlaumichelt. Am Dienstag früh brachte ich 2 große und 1 kleine Fahrradtasche zum Bahnhof, ließ sie mit dem Zug nach Oberwald bringen, um sie dort wieder abzuholen. In einer kleinen Tasche verstaute ich Regenjacke, langärmeliges Shirt und Verpflegung in der Befürchtung, viele Stunden im Aufstieg zu sein. Gegen 6:30 Uhr konnte ich mit dem erleichterten Rad (ein Leichtgewicht ist es schon von Haus aus nicht) starten. Schon nach wenigen hundert Metern war mir klar, dass mein Entschluss richtig war. Mit vollem Gepäck wäre ich nicht weit gekommen. So ging es, aber ich musste aufpassen. Weder waren die Muskeln warm noch hatte ich einen zur Belastung passenden Rhythmus. Doch den fand ich schnell, immer mal kurz innehalten und umdrehen – mein lieber Schwan, gewann ich schnell an Höhe. An einer Stelle stand ein Schild am Straßenrand „James-Bond-Straße“ mit dem Hinweis dass die Autoverfolgungsszenen von „Goldfinger“ 1964 hier gedreht wurden. Ich glaube, ich muss mir den alten Schinken noch einmal ansehen. Nach gut 40 Minuten hatte ich den ersten „Serpentinen-Turm“ geschafft und sah, dass ich schon über 300 hm geschafft hatte.

Jetzt musste ich aufpassen, meinem Vorsatz treu zu bleiben, mit Bedacht den Furkapass anzugehen. Da kam wieder dieses alte Leistungs-Ich hervor: ich will der Schnellste o.ä. sein. Na ja, ich gebe zu, da es mir den ganzen Weg über gut ging ( ich hatte keinen „Zitterer“ wie auf dem Oberalppass, der dann mit einer Madopar LT behoben wurde) dachte ich öfters darüber nach: wieviel km und hm sind es noch, in welcher Zeit komme ich oben an? Ich habe einen Rhythmus gefunden, zwei oder drei mal einen kleinen Schluck trinken, eine Tüte Mg direkt und sonst in relativ gleichen Abständen Atempausen: anhalten, 3 oder 5 mal kräftig ausatmen und wieder starten. Das ging recht gut und oben angekommen schaute ich trotz des kalten Windes gleich in die Navi-Daten: 860 hm in 2:08 h Netto-Fahrzeit, mit Pausen kam nach meiner Armbanduhr eine 1/2 Stunde dazu. Na bitte, geht doch. Solch einen Pass gleichmäßig durchradeln geht halt nicht mehr, aber ist wohl auch nicht ungewöhnlich.

Im Gegensatz zum Oberalppass am Sonntag war hier ober eisige Leere. So musste ich meine Siegerpose selbst fotografieren. Schnell langen Pulli und Windjacke drüber und weiter zur Rhônequelle. Ich dachte, die sei gleich nebenan und war erstaunt, dass ich erst zitternd vor Kälte ein Stück abfahren musste. Aber am berühmten Belverdere auf dem Parkplatz ging kein Wind und die Sonne schien. Das wärmte schnell auf. Zum Rhônegletscher muss man durch den Souvenirshop. „Eintritt mit Eisgrotte 9,, CHF“. Ok, ich wollte zwar den traurig berühmtem Gletscher ( er ist der am längsten datenmäßig erfasste und das Paradebeispiel für schwindende Gletscher infolge der Erderwärmung) aus der Nähe betrachten, aber auch nicht stundenlang herumwandern. Schließlich hatte die ältere Dame an der Kasse ein Erbarmen „nur zur Aussichtsplattform 3Franken, aber nicht besch…“ So konnte ich den Gletscher mit seiner Gletscherzunge und dem herausströmenden Rhônewasser betrachten. Ich war ertsaunt, dass die Gletscheroberfläche nicht nur grau, sondern dunkelanthrazit wie moderne Businessuniformen ist. Als ich zurückging, konnte ich es nicht lassen zu der Kassiererin zu gehen „Madame, ich habe nicht beschissen“. Da wollte sie sich entschuldigen, so sei das doch nicht und so… da konnten wir dann beide drüber lachen.

Die Abfahrt vom Furkapass war völlig anders. Es ging gleich steil hinab in unzähligen Kehren in verschiedenen Radien. Ich hatte dauernd zwei Finger an der Bremse und war froh, dass sowohl die hydraulische Bremse so leicht anspricht als auch das Rad nicht ganz so schwer ist. Also erst runter bis zum Abzweig des Grimselpasses (der sieht genau so hart aus) und nun weiter ins Rhônetal.

Als ich aus dem felsigen Bereich herauskam, gefielen mir sofort die Wälder an den Hängen mit großen Tannen. Das obere Rhônetal ist geprägt von lebendigen herrlichen Museumsdörfern, Weiden und Almen und darüber immer wieder Wald. Ich finde es wunderschön hier. Als ich an meinem Ziel in Biel ankam, gefiel,es mir sofort in diesem kleinen Dorf mit den uralten Schweizer Holzhäusern und Speichern. Ich selbst wohne im alten Posthuus (sprich:Posthüüs), habe ganz ober eine gemütliche kleine Frerienwohnung zum Preis eines EZ bekommen. Es gefällt mir hier so gut, dass ich mich – auch wegen des morgigen Fronleichnam-Feiertages, an dem alles fest verschlossen bleibt – erst am Freitag hier wieder aufzubrechen. Ich habe jetzt wieder eine angenehme Frisur und habe für 2 Tage eingekauft, so dass es ganz sicher auch für einen hungrigen grauen Wolf reicht.

Bilder aus Andermatt: Verpflegung für die Passfahrt, in Realp gibt es kein Geschäft


Blick auf den Pass und in die Berge im Morgenlicht:


Unterwegs zum Pass:

Mehr als die Hälfte geschafft: Hotel und Restaurant Tiefenbach in 2.100 m Höhe – das ging schnell bis hier her, also schnell weiter


… und höher will der radelnde Mensch hinaus:


Super, ich bin oben, habe das Motto „Keep Moving“ ernst genommen und kräftig „gemoved“:


Am Rhônegletscher:


Hochgebirgsansichten:


Der Rhôneradweg, eine schöne, aber hier nicht sehr schnelle Strecke:


Da kommt „mein Biel“: